Asset Allocation Insights

Unsere monatliche Einschätzung der Asset-Allokation (Mai 2020)

Montag, 05/18/2020

Für nahezu alle Menschen in der Welt waren die letzten drei Monate aussergewöhnlich und schwierig. Aus Anlegersicht sind in diesem Zeitraum viele langjährige Wirtschaftsdatenreihen auf den Kopf gestellt und seit Jahr und Tag bestehende Auffassungen über den Zusammenhang zwischen Aktienperformance und Gewinnkorrekturen sowie über die Korrelation zwischen Anlageklassen in Frage gestellt worden. Wer hätte sich das vorstellen können? 30 Millionen Neuanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA in nur sechs Wochen, die Umfragen zum Einkaufsmanagerindex bei unter 30 oder gar 20 Punkten in den grossen Volkswirtschaften, eine Aktienrally von 30% trotz deutlicher Gewinnkorrekturen nach unten und noch nie dagewesener Ungewissheit hinsichtlich des Ausblicks, stabile langfristige Zinsen trotz dieser Erholung der Aktienmärkte, oder negative Ölpreise, um nur einige Beispiele zu nennen.

Montag 18/05/2020 - 09:07
Adrien Pichoud Chief Economist & Senior Portfolio Manager
Maurice Harari Senior Portfolio Manager

Behutsamer Risikoausgleich in der zweiten Phase der Pandemie

Für nahezu alle Menschen in der Welt waren die letzten drei Monate aussergewöhnlich und schwierig. Aus Anlegersicht sind in diesem Zeitraum viele langjährige Wirtschaftsdatenreihen auf den Kopf gestellt und seit Jahr und Tag bestehende Auffassungen über den Zusammenhang zwischen Aktienperformance und Gewinnkorrekturen sowie über die Korrelation zwischen Anlageklassen in Frage gestellt worden. Wer hätte sich das vorstellen können? 30 Millionen Neuanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA in nur sechs Wochen, die Umfragen zum Einkaufsmanagerindex bei unter 30 oder gar 20 Punkten in den grossen Volkswirtschaften, eine Aktienrally von 30% trotz deutlicher Gewinnkorrekturen nach unten und noch nie dagewesener Ungewissheit hinsichtlich des Ausblicks, stabile langfristige Zinsen trotz dieser Erholung der Aktienmärkte, oder negative Ölpreise, um nur einige Beispiele zu nennen. Jetzt beginnt die zweite Phase der Covid-19-Krise. Nach dem anfänglichen Schock und den als Sofortreaktion erfolgten Schutzmassnahmen versuchen Regierungen nun, einen Ausgleich zwischen zwei notwendigen Dingen zu schaffen, die anscheinend im Gegensatz zueinander stehen: einerseits Bedingungen für die Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit festzulegen und dabei andererseits die Pandemie «unter Kontrolle» zu halten, d. h., die Betroffenen im Rahmen der Fähigkeiten des Gesundheitssystems zu versorgen. Aus Investmentsicht wird diese Phase nicht weniger schwierig sein, zumindest aber können sich Anleger in den kommenden Monaten bei der Orientierung an den Märkten auf einige greifbare Elemente stützen.

Was die Dauer der «Pause der Weltwirtschaft» angeht, gehen alle Industriestaaten allmählich zu einer Phase über, in der die anfangs strengen Massnahmen der sozialen Distanzierung gelockert werden, damit das Wirtschaftsleben wieder richtig in Gang kommen kann. Das Risiko eines Wiederaufflammens der Pandemie hängt wie ein Damoklesschwert über dem Ausblick. Dennoch erscheint es angemessen, davon auszugehen, dass beim BIP vor dem Sommer eine Erholung einsetzt. Bis das Vorkrisenniveau der Wirtschaftstätigkeit wieder erreicht ist, wird es noch einige Zeit dauern, wahrscheinlich mehrere Quartale. Zumindest aber konnte man dem gefürchteten Szenario einer lange anhaltenden Depression anscheinend aus dem Weg gehen.

Das Tempo dieser wirtschaftlichen Erholung wird wohl der beste Gradmesser für die Wirksamkeit der jüngsten staatlichen Interventionen sein. Das grundlegende Ziel der staatlichen Ausgaben und Garantien besteht neben der obligatorischen Unterstützung für das Gesundheitssystem in der Tat darin, die negativen Auswirkungen für die Produktionskapazitäten abzumildern, damit Unternehmen und private Haushalte nicht insolvent sind, wenn die Massnahmen der sozialen Distanzierung endlich wieder gelockert werden. Für eine Beurteilung, wie viel an dieser Front erreicht werden wird, ist es noch zu früh. Die meisten Unternehmen geben inzwischen keine Gewinnprognosen mehr ab, und Anleger halten mit der Erholung Schritt und bauen hinsichtlich der Umsatz- und Gewinnerwartungen Vertrauen auf.

Eine Bewertung, wie viel die Finanzmärkte schon eingepreist haben, ist ebenfalls noch zu schwierig. Weil dank staatlicher Interventionen eine andauernde Depression wahrscheinlich vermieden wird, hat sich Erleichterung breitgemacht und den Anstieg an den Aktienmärkten im April möglicherweise befeuert. Wir haben jetzt aber ein besseres Gespür für die Ausbreitung und das Risiko der Pandemie, wodurch auch das Szenario einer schnellen Rückkehr auf Vorkrisenniveaus ausgeschlossen ist. Die Bandbreite der möglichen Ausgänge zwischen diesen beiden Extremen ist ziemlich gross. Anleger müssen das richtige Mass zwischen zwei Polen finden: einerseits an der erwarteten allmählichen Erholung der Wirtschaft teilnehmen und andererseits wegen der zahlreichen (auch in keinem direkten Zusammenhang mit der Pandemie stehenden, z. B. politischen oder geopolitischen) Risiken und Unbekannten in den kommenden Monaten weiterhin Vorsicht walten lassen.

Vor diesem Hintergrund bleiben wir bei unserer seit Anfang April eingenommenen Haltung. Die Portfolios bleiben eher defensiv ausgerichtet. Wir sind aber der Ansicht, dass erstklassige Unternehmensanleihen, unterstützt durch eine auf das akute Liquiditätsproblem vom Monat März gerichtete Politik der Zentralbanken, sehr attraktive Chancen bieten. Gleiches lässt sich nicht über den Markt für High-Yield-Bonds und Anleihen der Schwellenländer sagen. Bei ihnen wiegen die Ungewissheiten hinsichtlich des wirtschaftlichen Ausblicks schwerer als die sehr akkommodierende Geldpolitik. Wir sehen derzeit wenig Potenzial für weiter rückläufige langfristige Zinsen, und weniger Diversifizierungsvorteile von Staatsanleihen als in der Vergangenheit, mit Ausnahme von inflationsgeschützten Staatsanleihen, die noch immer Wertpotenzial haben, sowie Gold, angesichts der derzeit schwachen Inflationserwartungen und der negativen Realzinsen. Und unsere Aktienallokation halten wir auf annähernd neutralem Niveau, dabei richten wir das Engagement in Regionen und Sektoren auf Qualität und Bilanzstärke aus und lassen

_Adrien Pichoud

Anleger müssen das richtige Mass zwischen zwei Polen finden: einerseits an der erwarteten allmählichen Erholung der Wirtschaft teilnehmen und andererseits wegen der zahlreichen Risiken und Unbekannten der kommenden Monate weiterhin Vorsicht walten lassen
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Quelle
SYZ, Bloomberg Stand der Daten: 05.05.2020

Erkenntnisse der Anlagestrategie-Gruppe, Bewertung und Fazit zu Anlagen

Risiko und Duration

Die Risikopräferenz wurde auf «leichte Abneigung» angehoben. Angesichts unseres zentralen wirtschaftlichen Szenarios (starker negativer Schock im zweiten Quartal mit einer allmählichen Erholung in der zweiten Hälfte des Jahres in den Industriestaaten), einer noch nie dagewesenen geld- und fiskalpolitischen Unterstützung, verbunden mit der Verbesserung der Bewertungen im März, ist eine weiterhin sehr pessimistische Haltung nach unserer Auffassung von nun an nicht mehr angebracht.

Wir wollen zwar weiter defensiv aufgestellt bleiben, allerdings wollen wir auch einem «neutralen Punkt» näher sein, denn wir müssen einräumen, dass Risiken jetzt zwei Seiten haben, mit beiden möglichen Szenarien: einem zweiten Fuss auf dem Boden oder einer Verlängerung der Erholung bei risikoreichen Anlagen. Wenn wir also eine neutralere Position einnehmen, kann es uns nicht auf dem falschen Fuss erwischen, falls es zu weiteren positiven Entwicklungen an den Aktienmärkten kommt.

Die Durationspräferenz wurde auf «Abneigung» herabgestuft. Alle grossen Zentralbanken haben inzwischen weitere Zinssenkungen vorgenommen und Programme mit Liquiditätsspritzen bereitgestellt. Die Zinssätze haben dadurch historische Tiefstände erreicht oder bewegen sich wieder darauf zu. Derzeit verharren die Geldmarktzinsen überall in den Industrieländern nahe null. Seinen Niederschlag gefunden hat dies in der schlechten Entwicklung von auf USD, EUR und GBP lautenden Staatsanleihen mit Status als sicherer Hafen.

Hinzu kommt, dass Regierungen zur Eindämmung der Auswirkungen des wirtschaftlichen Lockdowns fiskalische Ausgabenprogramme von historischem Ausmass bekannt geben. Wir sind zwar der Ansicht, dass die Zentralbanken auf wirksame Weise grösstmögliche Anstrengungen unternehmen werden, um eine Erhöhung der langfristigen Zinsen zu verhindern. Die mittel- bis langfristigen Auswirkungen einer solchen Erhöhung auf die Staatsverschuldung sind aber ungewiss.

Demzufolge hat die Duration nach unserem Dafürhalten in den Portfolios heute weniger Wertpotenzial und die Risiken in Verbindung mit dem langfristigen Zinsrisiko weisen eine negative Asymmetrie auf.

Die Risikobereitschaft wurde auf eine leichte Abneigung hochgestuft, die Haltung ist jetzt also stärker neutral als zuvor, allerdings noch immer auf der vorsichtigen Seite. Die Duration hingegen wurde auf Abneigung herabgestuft, da die Risiken in Verbindung mit dem langfristigen Zinsrisiko eine negative Asymmetrie aufweisen.
Maurice Harari Senior Portfolio Manager

Aktien

Durch den Abverkauf an den Aktienmärkten haben sich die Bewertungen in den Industriestaaten allgemein verbessert. Wegen der erheblichen Ungewissheit hinsichtlich des Gewinnausblicks ist es jedoch schwer, das Ausmass dieser Bewertungsverbesserung wirklich einzuschätzen.

Dennoch stuften wir aufgrund der tatsächlichen Bewertungen unsere Haltung für die Aktienmärkte der Eurozone auf «leichte Präferenz» herauf. Die Einschätzung für Aktien der Schweiz reduzierten wir hingegen auf «leichte Abneigung», da es im März zu einer deutlich weniger starken Anpassung gekommen ist.

Da Indien hinsichtlich der Bewertung im Vergleich zu anderen Aktienmärkten der Schwellenländer nach wie vor weniger attraktiv ist, stuften wir indische Aktien auf «leichte Abneigung» herab. Russland stuften wir hingegen wegen attraktiver Bewertungen auf «leichte Präferenz» herauf.

Für die Aktienmärkte USA und China behielten wir die Einschätzung «Präferenz» bei.
 

Anleihenmärkte

Durch die eindrucksvolle Spreadausweitung bietet sich ein unserer Ansicht nach selten so attraktiver Einstiegszeitpunkt für das Segment der Investment-Grade-Unternehmensanleihen. Deshalb stuften wir diese Anlageklasse auf «starke Präferenz» herauf.

Die Verbesserung der Bewertungen war im Bereich Unternehmensanleihen durchweg stark ausgeprägt. Noch deutlicher sichtbar war sie aber bei auf USD lautenden Investment-Grade-und High-Yield-Anleihen. Hinzu kommt, dass die Fed nun wie die EZB ein Kaufprogramm für Unternehmensanleihen aufgelegt hat. Aus diesen Gründen geben wir auf USD lautenden Anleihen den Vorzug vor auf EUR lautenden Anleihen, was die relative Präferenz in den Segmenten Investment Grade und High Yield angeht.

Wegen der verbesserten Bewertung bei inflationsgeschützten Anleihen (besonders in den USA und in Italien), mit der Attraktivität eines potenziellen Rückgangs der Realzinsen in Verbindung mit einer Unterbewertung bei den Breakeven-Inflationsraten, ist eine Erhöhung der Einstufung dieser Anlageklasse auf «Präferenz» gerechtfertigt.

Dagegen stuften wir nominale Staatsanleihen (hohe Bewertungen und Risiko im Zusammenhang mit der Fiskalpolitik) auf «leichte Abneigung» herab.

Darüber hinaus lassen wir wegen des für Schwellenländer-Volkswirtschaften sehr unsicheren Ausblicks derzeit die Finger von Schwellenländeranleihen in lokaler Währung (auf «Abneigung» herabgestuft).

Letzter Punkt: Die Haltung zu High-Yield-Anleihen und Schwellenländeranleihen in harter Währung beliessen wir unverändert (auf «leichte Abneigung»), da die grossen wirtschaftlichen Unsicherheiten und ihre potenziellen Auswirkungen auf diese Anlageklassen vorerst die starke Verbesserung bei den Bewertungen ausgleichen.


Forex

Wegen der Ungewissheit im Zusammenhang mit dem Ausblick für Grossbritannien, den Brexit-Verhandlungen und der Lockerung der Geldpolitik durch die Bank of England gibt es unserer Ansicht nach keine starken Argumente mehr für eine Aufwertung des britischen Pfunds. Deshalb stuften wir das britische Pfund gegenüber dem US-Dollar auf «leichte Abneigung» herunter.

Dagegen haben die negativen realen Geldmarktzinsen und der potenzielle Rückgang der langfristigen realen Zinsen ein günstiges Umfeld für Gold geschaffen. Letzteres stuften wir auf «Präferenz» hoch.

_Maurice Harari