Focus

Makroökonomische Unsicherheit: Abwarten und auf Chancen warten

Donnerstag, 05/11/2017

Beim Anlegen ist das richtige Timing wichtig. Dinge vorher zu sagen, ist schwierig. Unsere Bottom-up Anlagephilosophie konzentriert sich auf erstklassige Unternehmen die kurzfristig unter Druck stehen, sich langfristig aber durch eine hohe Wettbewerbsfähigkeit und solide Bilanzen auszeichnen. Werden in politischen oder wirtschaftlichen Krisen wahllos Titel abgestossen, schauen wir deshalb umso genauer hin. Wir empfehlen Anlegern, im 2017 auf Chancen zu setzen, anstatt sich durch Vorhersagen die Hände binden zu lassen.

Donnerstag 11/05/2017 - 14:37
Michael Clements Experte für europäische Aktien
Wir legen also unsere Kristallkugel zur Seite und vertrauen lieber auf eine opportunistische Strategie, die darauf fußt, abzuwarten und die Entwicklung genau zu beobachten.
Michael Clements Experte für europäische Aktien

Vorhersagen zu treffen ist immer schwierig, wie es so schön heißt, insbesondere über die Zukunft. Letztes Jahr habe ich weder den Brexit noch den unaufhaltsamen Anlauf von Donald J. Trump auf das Weiße Haus kommen sehen. Auch mit meiner Einschätzung, dass Frankreich die Fußball-Europameisterschaft für sich entscheiden würde, lag ich letztlich daneben, und Leicester City als Meister der Premier League hatte ich wiederum gar nicht auf dem Schirm. Da trifft es sich gut, dass das Wetten auf den Ausgang von Sportereignissen oder politischen Urnengängen nicht zu meinem Anlageprozess zählt.

Was wir derzeit dies- und jenseits des Atlantik erleben, ist ein makroökonomischer und geopolitischer Mahlstrom, und es ist schwierig zu sagen, wie der Markt auf die bevorstehenden Wahltermine und wirtschaftlichen Umbrüche reagieren wird. Anleger müssen nun starke Nerven beweisen. Zum Glück ist es jedoch möglich, die Politik gänzlich aus dem Prozess der Portfolioentscheidungen auszuklammern. So haben unsere europäischen Aktienstrategien sowohl die Benchmark als auch die durchschnittlichen Wertentwicklungen ihrer Vergleichsgruppe übertroffen, obwohl unser Team keins der politischen Großereignisse des vergangenen Jahres vorhergesehen oder einkalkuliert hatte.

Aktiv nach Chancen Ausschau zu halten lohnt sich!

Vor diesem Hintergrund legen wir also wie gewohnt unsere Kristallkugel zur Seite und vertrauen lieber auf eine opportunistische Strategie, die darauf fußt, abzuwarten und die Entwicklung genau zu beobachten. Im Zuge der politischen Umwälzungen des Jahres 2016 sind noch zahlreiche Nachbeben zu erwarten, die sich zur Erzielung von Alpha ausnutzen lassen. Bevorstehende konjunkturelle Dämpfer oder kurzfristige wirtschaftliche Erschütterungen dürfen wir getrost ausblenden. Was jedoch nicht heißt, dass Veränderungen der politischen Windrichtung oder sonstige unerwartete Verschiebungen keine Chancen eröffnen könnten.

Die Bedeutung von Szenarienplanung

Tatsächlich kommt es bei Anlagen oft auf das richtige Timing an. Unsere Bottom-up-Anlagephilosophie konzentriert sich auf erstklassige Unternehmen, die sich durch eine hohe Wettbewerbsfähigkeit und solide Bilanzen auszeichnen, jedoch kurzfristigem Druck ausgesetzt sind. Manchmal stöbern wir Unternehmen auf, die zwar unseren strengen Auswahlprozess bestehen, jedoch aus Bewertungsgründen letztlich kein grünes Licht erhalten – einfach, weil das Timing nicht stimmt. Aus diesem Grund sehen wir sehr aufmerksam hin, wenn bei Verkaufswellen infolge politischer oder wirtschaftlicher Krisen wahllos Titel abgestoßen werden.

Darüber hinaus setzen wir rigorose Techniken der Szenarienplanung ein, um uns ein Bild davon zu machen, wie verschiedene Ergebnisse aussehen könnten. Selbstverständlich erweisen sich einige dieser Analysen am Ende als vergeblich, da stets nur eine unter mehreren Möglichkeiten eintritt. Entscheidend ist jedoch, dass wir schnell handeln können, wenn sich eine entsprechende Gelegenheit ergibt.

Kaufgelegenheiten inmitten der italienischen Turbulenzen

Am italienischen Markt gab es in letzter Zeit eine Reihe sprechender Beispiele für dieses Phänomen. Hier führten die politischen Turbulenzen und das angeschlagene Bankensystem zur Preisschwäche. Während wir aufgrund der schwer einschätzbaren künftigen Risiken von italienischen Banken die Finger lassen, sehen wir bei Finanzwerten im Allgemeinen attraktive Anlagechancen. Bei den in unseren Augen bestpositionierten Unternehmen handelt es sich um Kreditservicer wie Eurocastle und Asset Manager wie zum Beispiel Anima.

Eurocastle ist der führende Servicer für notleidende Kredite (NPL) in Italien und wird in jedem Fall eine entscheidende Rolle bei der Abwicklung des riesigen Bestands an NPLs in Italien spielen. Anima ist im Land jenseits der Alpen der größte unabhängige Asset Manager. Dass seine Aktien unter Druck geraten sind, ist größtenteils auf die Probleme einiger seiner Vertriebspartner wie etwa der Krisenbank Monte dei Paschi zurückzuführen. Bei den jetzigen Bewertungsniveaus ist unseres Erachtens jedoch ein Großteil des Risikos bereits eingepreist, und es gibt angesichts des Ausbaus der Beziehungen zu Poste Italiane sogar ein beträchtliches Aufwärtspotenzial.

Banca Sistema ist ein Finanzspezialist, der Handelsforderungen gegenüber öffentlichen italienischen Verwaltungen aufkauft. Sein Kernprodukt Rechnungs-Factoring beruht auf der Übernahme von Forderungen mit einem Abschlag auf den Nominalwert und der anschließenden Beitreibung des Gesamtbetrags, sodass eine attraktive interne Rendite generiert wird.

Hier haben wir es also mit einer oft übersehenen und auch vom Research vernachlässigten Aktie zu tun, die mit einem lohnenden, risikoarmen Geschäftsmodell verbunden ist. Ihre niedrige Bewertung spiegelt das mangelnde Interesse seitens anderer Anleger und eine allgemeine Scheu vor italienischen Financials wider.

Nach der Niederlage der italienischen Regierung beim Referendum stellen wir uns auf weitere Unsicherheit ein. Dies kommt unserem Contrarian-Ansatz zugute, da sich weitere Gelegenheiten ergeben könnten, Titel guter Unternehmen wie diesem zu günstigen Bewertungen zu erstehen.

Restriktiveres Zinsklima lastet auf Infrastruktur-Szenarien

Derzeit beschäftigen wir uns auch mit einer Reihe infrastrukturnaher Unternehmen auf dem Kontinent wie zum Beispiel Betreiber gebührenpflichtiger Straßen. Mautgesellschaften gelten oft als anleiheähnliche Aktien für lange Haltezeiten, da davon ausgegangen wird, dass sie sensibel auf Zinserhöhungen reagieren – weshalb die Kurse entsprechender Titel in jüngster Zeit auch nachgaben.

Dies ist jedoch eine allzu vereinfachende Sichtweise auf das Geschäftsmodell und die Bedingungen der Preisfestlegung. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass steigende Zinsen Fahrer massiv dazu veranlassen, mautpflichtige Straßen zu meiden, äußerst gering – und so werden diese Unternehmen auch weiterhin hohe freie Cashflows erzielen. Wir sind derzeit in Atlantia und Snam investiert und halten Ausschau nach weiteren Anlagechancen in diesem vom derzeitigen Klima belasteten Sektor.

Wie sich die Portfolios entwickeln, wird von den Gelegenheiten abhängen, die sich am Markt bieten. Die langfristig ausgerichtete Contrarian-Strategie reagiert in der Regel auf Ereignisse, die kurzfristig Kursdellen an den Börsen bewirken. Vor uns liegt ein interessantes Jahr: Für Anleger ist es in unseren Augen weitaus besser, auf Chancen zu setzen, als sich von Vorhersagen die Hände binden zu lassen.

Contrarian-Strategien: der Stimmungszyklus

Der Stimmungszyklus
Quelle
SYZ Asset Management, Daten per 30.04.2017