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Europäische Unternehmensanleihen: Ausblick auf das 2. Halbjahr 2018 Zeit zu kaufen?

Freitag, 07/27/2018

Nach mehr als eineinhalb Jahren Aufwärtstrend standen die Euro-Kreditmärkte im 1. Halbjahr 2018 unter Druck. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle, die von veränderten Erwartungen bezüglich der Entwicklung der Geldpolitik bis hin zu steigenden politischen Risiken bei gleichzeitig knappen Bewertungen in Verbindung mit einer Verlangsamung des Wirtschaftstempos reichten.

Unseres Erachtens sind die meisten dieser Faktoren in den letzten sechs Monaten entweder weggefallen, abgeklungen oder schwächer geworden. So bietet sich die Gelegenheit, sich auf Euro lautende Unternehmens- und Finanzanleihen wieder einmal näher anzusehen.

Freitag 27/07/2018 - 08:00
Antonio Ruggeri European Credit Expert
„Die klarere und weiterhin akkommodierende Geldpolitik der EZB, stabiles Wirtschaftswachstum, solide Fundamentaldaten und günstigere Bewertungen deuten auf ein positives 2. Halbjahr am Anleihemarkt.“ »
  • Normalisierte Bewertungen haben das Risiko einer übermässigen Reaktion der Märkte stark reduziert.
  • Die Frühindikatoren stützen die Einschätzung, dass die Eurozone über ihrem strukturellen Langzeit-Tempo wachsen wird.
  • Der Einfluss politischer Krisen lässt normalerweise mittelfristig nach, sofern sich die Besorgnis legt und Anleger selektiver werden.
  • Das makro- und mikroökonomische Umfeld hat sich seit 2010 bzw. 2011. Das Ansteckungsrisiko ist deshalb viel geringer oder besteht vielleicht gar nicht.

Geldpolitik und Bewertungen: Klarheit über Zinsentwicklung und Normalisierung

Nach einem beeindruckenden Jahresauftakt, als die Spreads in allen Marktsegmenten mehrjährige Tiefststände erreichten, beeinflussten die neuen Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung der Geldpolitik die Kreditmärkte. Aufgrund der erfreulichen konjunkturellen Entwicklung rechneten die Marktteilnehmer sowohl in den USA als auch in Europa mit einer restriktiveren Geldpolitik. Die Zinserhöhung wirkte sich zwar auf alle risikoreichen Anlagen aus, aber die niedrigen Bewertungen an den Kreditmärkten beschleunigten die Verkaufswelle, insbesondere in den High-Beta-Segmenten wie Hochzinsanleihen und nachrangige Instrumente.

Das Risiko von Schocks durch eine unerwartete Straffung der Geldpolitik ist derzeit sehr gering, da die bevorstehenden Leitzinsanhebungen der Fed bereits eingepreist sind und die von Draghi geführte EZB ihre sehr vorsichtige und akkommodierende Haltung noch einmal bekräftigt hat. Die risikofreien Zinssätze könnten steigen, bewirken jedoch letztlich nur eine Umkehr der bisherigen Flucht in die Qualität, die begrenzten Einfluss auf die Bewertung risikoreicher Vermögenswerte haben dürfte. Tatsächlich liegen sowohl die Spreads als auch die kurzfristige Volatilität inzwischen über dem Durchschnitt der letzten drei Jahre. Zudem ähnelt der Umfang der diesjährigen Spread-Ausweitung anderen Marktkorrekturen seit 2008. Auch wenn die Bewertungen noch nicht wirklich günstig sind, so haben sie sich unseres Erachtens auf jeden Fall verbessert. Da sich das Risiko ausser Kontrolle geratener Marktreaktionen drastisch verringert hat, wirkt das europäische Kreditmarktumfeld inzwischen attraktiver.

Konjunktur und Fundamentaldaten: weder Rezession noch Überhitzung der Fundamentaldaten

Nach einer kurzen Erholung zwischen Mitte Februar und März begannen sich die Spreads der Anleihen wieder auszuweiten, vor allem aufgrund unerwartet enttäuschender Konjunkturdaten: Die Frühindikatoren für den Euroraum begannen sich im Dezember letzten Jahres zu verschlechtern. Die Konjunkturüberraschungs-Indikatoren wurden negativ. Dieser Trend dauerte bis Mai dieses Jahres und führte zur Entkoppelung der EUR- und USD-Spreads, da letztere sich kaum veränderten. Neuere Daten deuten darauf hin, dass sich die Konjunktur im Wachstumsbereich stabilisiert und sich die Überraschungsindikatoren deutlich erholen. Dies bestätigt unsere Einschätzung, dass der Euroraum im 2. Halbjahr 2018 über seinem strukturellen Langzeit-Tempo wachsen dürfte. Auch die Fundamentaldaten der Unternehmen bestätigen diese Annahme, da die europäischen Firmen im 1. Quartal wieder die Margen, die Verschuldung und den Deckungsgrad verbessern konnten. Letztes Jahr haben die Unternehmen aufgehört, sich tiefer zu verschulden und die Laufzeiten ihrer Verbindlichkeiten zu niedrigeren Zinssätzen verlängert.

EUR IG, HY & Sub Credit Bewertungen – 3 Jahres-Z-Wert
EUR IG, HY & Sub Credit Bewertungen – 3 Jahres-Z-Wert
Quelle
ICE Indices, SYZ Asset Management Stand: 30. Jun. 2018

Politische Risiken : Angst vor Handelskrieg und Krise in Italien legt sich, ohne ganz zu verschwinden

Zuletzt sorgte die politische Situation für Turbulenzen an den Kreditmärkten, insbesondere im Euroraum, wo ein Entwurf des Programms der neuen italienischen Regierung publik wurde. Der Entwurf weckte erneute Befürchtungen über den Fortbestand des Euro und erinnerte an die Ansteckungsgefahren, die zuletzt im Jahr 2015 während des griechischen Referendums zu beobachten waren. Die Renditeaufschläge der italienischen, spanischen und portugiesischen Staatsanleihen stiegen deutlich an, was sich vor allem auf Finanzwerte auswirkte, nicht nur in Peripherie-Staaten. Solche Turbulenzen legen sich normalerweise mittelfristig wieder, weil die Befürchtungen nachlassen oder die Anleger selektiver werden. Das ist auch aktuell zu beobachten. Vor allem war der Anstieg mit nur 150 Basispunkten deutlich geringer als im Jahr 2011, als die Zinsen von Hochzins- und nachrangigen Anleihen um mehr als 500 Basispunkte stiegen. Der Markt mag ein gewisses Risiko eingepreist haben, aber nicht das Ende des Euro oder ähnliche Szenarien. Dies zeigt sich auch bei der Betrachtung der spanischen und portugiesischen Staatsanleihen, deren Spreads auch heute noch enger sind als im Dezember letzten Jahres.

Durchschnittlicher Zinssatz für Kredite in der Eurozone an
Nicht-Finanzunternehmen bis zu EUR 1 Mio.
Durchschnittlicher Zinssatz für Kredite in der Eurozone an
Nicht-Finanzunternehmen bis zu EUR 1 Mio.
Quelle
FactSet Research Systems, SYZ Asset Management Stand: 31. Mai. 2018
Eurozone Average PMI und Citi Economic Surprise
Eurozone Average PMI und Citi Economic Surprise
Quelle
Markit, Citigroup, SYZ Asset Management Stand: 31. Mai. 2018

Nur der italienische Renditeaufschlag ist infolge der ungewissen Finanzpolitik weiterhin höher. Dennoch sind die BTP weit von den jüngsten Höchstständen entfernt. Wir gehen davon aus, dass sich die Volatilität bei italienische Namen hält, jedoch nur zum Teil auf andere Länder übergreift, bis Anfang Herbst der EU-Haushaltsentwurf vorgelegt wird. Nach Angaben des Finanzministers ist zwar mit einem etwas höheren Defizit als dem im letzten Jahr geplanten zu rechnen, jedoch nicht mit einem umfassenden Defizitfinanzierungsprogramm. Jenseits der Sorgen um die Politik ermutigt uns die Tatsache, dass wir heute ein ganz anderes makro- und mikroökonomisches Umfeld als noch 2010 bzw. 2011 haben, was auf ein viel geringeres oder sogar gar nicht vorhandenes Ansteckungsrisiko hindeutet. Auf makroökonomischer Ebene verzeichnen vor allem Spanien und Portugal die höchsten Wachstumsraten der letzten zehn Jahre und die seit langem lockersten Kreditbedingungen für Unternehmen. Die Kreditzinsen für Nichtfinanzunternehmen liegen auf historischen Tiefständen mit nur geringen Unterschieden zwischen den verschiedenen Ländern. 2010 war das Gegenteil der Fall. Zusätzlich besitzt die Eurozone heute Instrumente wie den ESM, die OMT und das EZB-Anleihekaufprogramm, die vor acht Jahren noch nicht verfügbar waren. Dazu kommt, dass der Finanzsektor seine Bilanzen mit höheren Eigenkapitalanteilen und qualitativ besseren Aktiva konsolidierten konnte. Die Banken der Eurozone (*siehe Anmerkung) haben seit Ende 2010 neues Eigenkapital in Milliardenhöhe aufgenommen und gleichzeitig ihre notleidenden Kredite von den Höchstständen des Jahres 2015 auf den aktuellen Anteil von 4,9 % reduziert. Insgesamt dürfte die Eurozone heute viel besser gerüstet sein für ein potentielles, wenn auch nicht besonders wahrscheinliches Szenario einer weiteren Finanzkrise.

Wichtigste Banken der Eurozone – Eigenkapital 2010 vs. 2018
Wichtigste Banken der Eurozone – Eigenkapital 2010 vs. 2018
Quelle
EBA Risk Dashboard & ECB Supervisory Banking Stats, SYZ Asset Management Stand: 31. Dez. 2017

Marktthesen: Chancen an den Kreditmärkten erkennen

Aus der Top-Down-Perspektive betrachten wir Investment-Grade-Anleihen als strukturellen Bestandteil von Rentenportfolios, da sie mittelfristig eine geringere Volatilität und bessere Renditen als Staatsanleihen aufweisen. Die im Jahreszeitraum niedrigsten Zinsen und höchsten Spreads deuten darauf hin, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um das Engagement zu erhöhen. Am attraktivsten sind wohl nachrangige Anleihen: Die Anlageklasse verzeichnete die schlechteste Performance unter den europäischen Unternehmenspapieren, wobei die Versicherer der Kernländer überraschenderweise ebenso betroffen waren wie die Banken der Peripherie. Das konservativste Renditemass für Versicherungs- und Coco-Anleihen (hybride Instrumente im Bankwesen), Yield-to-worst, stieg nach den Tiefständen im Januar plötzlich von 2,5 auf 3,5 bzw. 4,5 %. Zuletzt erscheint es angesichts der Entkoppelung von den entsprechenden USD-Instrumenten sinnvoll, einen Blick auf Euro-Anleihen mit einem Rating B zu werfen, deren durchschnittlicher Spread nun mehr als 500 Basispunkte beträgt gegenüber den knapp 400 Basispunkten der USD-Anleihen. Branchen wie Transport und Einzelhandel wurden von der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und der Angst vor Handelskriegen stark beeinträchtigt und bieten derzeit Aufschläge von über 800 Basispunkten. Obwohl diese Papiere noch immer volatil sind, werden die Anleger jetzt auf jeden Fall besser für dieses Risiko entschädigt als im Januar.

Renditen Europäische Investment-Grade- vs. nachrangige Anleihen
Renditen Europäische Investment-Grade- vs. nachrangige Anleihen
Quelle
Bloomberg, SYZ Asset Management. Stand: 30. Jun. 2018

Fazit: Es ist Zeit, (wieder) einzusteigen

Obwohl die Märkte weiterhin von politischen Turbulenzen gebeutelt sind, dürfte die Volatilität moderat bleiben, da die Wahrscheinlichkeit von Tail-Risiken abgenommen hat. Eine klarere und akkommodierende Geldpolitik der EZB, stabiles Wirtschaftswachstum und solide Fundamentaldaten sowie günstigere Bewertungen deuten auf ein positives 2. Halbjahr am Anleihemarkt.

Spread Europäische Hochzinsanleihen Rating B
Spread Europäische Hochzinsanleihen Rating B
Quelle
Bloomberg, SYZ Asset Management. Stand der Daten: 30. Jun. 2018