Focus

Indien bereitet sich auf ein von Reformen angetriebenes Wachstum vor

Freitag, 03/03/2017
  • Seit seinem überwältigenden Wahlsieg im Jahr 2014 hat Narendra Modi energisch Reformen vorangetrieben. Dazu zählten unter anderem die jüngste Entwertung großer Geldscheine („Demonetisierung"), die bevorstehende Umstrukturierung der allgemeinen Umsatzsteuer und ein neues Unternehmensinsolvenzgesetz.
  • Kurzfristig rief dies zwar große Probleme hervor, zum Beispiel eine Bargeldverknappung in der Wirtschaft, und belastete konsumorientierte Sektoren wie Basiskonsumgüter und Immobilien. Die Reformen sind jedoch eine Chance für Indien, einige der Blockaden zu beseitigen, unter denen seine Wirtschaft leidet, und den Kurs auf ein von Reformen angetriebenes Wachstum zu lenken.
  • Indische Aktien traten 2016 bestenfalls auf der Stelle (gegenüber einem kräftigen Anstieg der Indizes anderer Schwellenländer), und im Vergleich zu ihren historischen Bewertungen erscheinen sie jetzt angemessener bewertet.
  • Die derzeit attraktiven Bewertungen stellen einmalige Kaufgelegenheiten in Sektoren wie Automobile, Medien, Energie und Finanzen dar.
Freitag 03/03/2017 - 08:37
Roberto Magnatantini Global Equities Expert
Shoaib Zafar Analyst
„Die bestehende Agenda für die indischen Reformen ist zwar kurzfristig schmerzhaft, sie dürfte sich langfristig aber vorteilhaft auf das Wachstum auswirken. Bestimmte Sektoren und Unternehmen beurteilen wir in unseren Bottom-up-Einschätzungen zuversichtlich. Dabei richten wir den Fokus vor allem auf solche, die die politische Belastung dank Selbsthilfemaßnahmen besser überstehen können.“

Wichtige Reformen: Kurzfristige Schmerzen Für Langfristige Vorteile

Die Demonetisierung ist die jüngste wichtige Reform undwar möglicherweise für viele ein unvorhergesehenes Ereignis („Black Swan-Event"). Am 8. November gab Indiens Premierminister Narendra Modi bekannt, dass Geldscheine im Wert von 500 Rupien (der Gegenwert von USD 7,37) und 1000 Rupien (USD 14,74) ab 30. Dezember kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr sein würden. Gleichzeitig kündigte er die Ausgabe von neuen 500- und 2000-Rupien-Scheinen im Tausch gegen die alten Banknoten an. Die offizielle Begründung lautete, dass damit die Schattenwirtschaft eingedämmt und der Nutzung von illegalen Bargeldgeschäften und Falschgeld zur Finanzierung von kriminellen Aktivitäten und Terrorismus ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Die Inhaber von schätzungsweise 86% der gesamten im Umlauf befindlichen Menge an Rupien wurden aufgefordert, diese entweder gegen neue Banknoten zu tauschen oder bei Banken einzuzahlen. In einem Land, in dem 80% der Dörfer keine Bank haben, rief dies chaotische Zustände hervor. Es wurden massive Störungen des Geschäftsverkehrs gemeldet, da alltägliche Transaktionen unter einem dramatischen Bargeldengpass litten. Zyklische Sektoren erlitten im Zeitraum November bis Dezember einen Umsatzeinbruch von 40% im Vergleich zum Vorjahr. Positiv war jedoch, dass enorme Geldmengen bei Banken eingezahlt wurden, wodurch der Einlagenzins deutlich stieg. Ob damit in einem Land, in dem die Schattenwirtschaft etwa 20% des Gesamt-BIP von USD 2,1 Billionen ausmacht (nominal, 2016), auch Fortschritte bei den wesentlichen politischen Zielen erreicht werden, wie der Aufdeckung von Steuerhinterziehungen und der Bekämpfung von Bestechung, Falsch- und Schwarzgeld, bleibt abzuwarten.

Eine wichtige, im Jahr 2017 erwartete Reform ist die Umstrukturierung der allgemeinen Umsatzsteuer (GST). Damit soll das veraltete Durcheinander verschiedener Steuern auf mehreren Ebenen in den indischen Bundesstaaten beseitigt werden. Wir sehen dies als positiven Schritt. Eine standardisierte Steuerregelung reduziert bürokratische Fußangeln und erleichtert die Geschäftstätigkeit in Indien. Mit einer umfangreicheren Abdeckung inländischer Aktivitäten durch eine einheitliche Steuer kann die indische Regierung mehr fiskalische Kapazitäten für nötige Entwicklungsprojekte aufwenden.

Ein weiteres strukturelles Reformprogramm, an dem die Regierung derzeit arbeitet, ist ein neues Unternehmensinsolvenzgesetz, das es den Banken erleichtert, Zahlungen auf notleidende Kredite von angeschlagenen Unternehmen einzutreiben. Idealerweise sollte dieser Schritt das Kreditwachstum abstützen.

Verhaltensänderungen

Die jüngste Reformwelle führt bereits zu einigen bemerkenswerten Verhaltensänderungen. Ein wichtiger positiver Nebeneffekt der Demonetisierung, der möglicherweise einen durchgreifenden Wandel anstoßen könnte, ist die Beschleunigung der Verhaltensumstellung von der formellen auf die digitale Wirtschaft in einem Land, in dem die wenigsten ein Bankkonto haben. Schätzungen zufolge haben nur etwa 30% der indischen Bevölkerung ein Bankkonto. Das Bestreben Indiens, sich zu einer „bargeldlosen Gesellschaft" zu entwickeln, mag vielleicht weit hergeholt erscheinen, liegt aber nicht jenseits des Möglichen.

Auswirkungen Für Indische Aktien

Da sich die Korrekturen nach der Demonetisierung hauptsächlich auf Konsumsektoren wie Basiskonsumgüter und Immobilien konzentrierten, beendeten die breiteren Indizes für Indien das Jahr 2016 weitgehend unverändert und waren damit schwächer als vergleichbare Märkte wie Pakistan, Russland und Brasilien. In der Vergangenheit waren indische Aktien ein teurer Markt mit Aufschlägen von etwa 20% gegenüber Industrieländern. Dieser Aufschlag hat sich mittlerweile aber auf etwa 10% verringert. Der MSCI India notiert derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13,5 zu den für 2018 erwarteten Gewinnen, während der Index im letzten Jahrzehnt mit einem KGV von 14,5 zum Gewinn des Folgejahres gehandelt wurde. Um diesen historischen Bewertungsaufschlag aber aus der richtigen Perspektive zu sehen, ist darauf hinzuweisen, dass indische Aktien in der Vergangenheit ein besseres Gewinnwachstum erzielt haben als ihre Konkurrenten in Industrie- und Schwellenländern. Und selbst nach der jüngsten Abwärtskorrektur der Gewinnerwartungen rechnet der Marktkonsens mit einem Wachstum der Gewinne je Aktie um 19% im Jahr 2017, gegenüber 14% für den MSCI EM. Obwohl die Auswirkungen des Wachstumsschocks durch die Demonetisierung noch unklar sind und Verwirrung über die verschiedenen Reformen in den kommenden Quartalen besteht, erwarten wir, dass sich die durch die Demonetisierung verursachte Liquiditätsverknappung auf wenige Quartale beschränkt. Wir gehen davon aus, dass indische Aktien bei ihrer Erholung in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 die Märkte anderer Schwellenländer übertreffewerden. Die Erholung dürfte vom konstanten Wachstum der Gewinne je Aktie angetrieben werden, insbesondere in Sektoren wie Medien, Energie, Versorger und Automobile.

Nicht zuletzt erwies sich der kürzlich vorgelegte Haushaltsplan als weitgehend ausgewogen (gegenüber bisherigen Befürchtungen eines populistischen Plans) und sorgt für Kontinuität zur wirtschaftspolitischen Richtung von Nerendra Modi. Da es keine langfristige Kapitalertragsteuer auf indische Aktien gibt, ist dies eindeutig ermutigend für die Anlageklasse. Für bestimmte Sektoren ist dies beruhigend (z.B. Banken) da sie von verschiedenen Impulsen für die ländliche Bevölkerung, von Anreizen für bezahlbaren Wohnraum und von den Zielen zur Steigerung der allgemeinen Kreditschaffung im Land profitieren werden.