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Globale Automobilindustrie: Werden die Herausforderungen durch Chancen aufgewogen?

Freitag, 06/23/2017

Das Global Equities Team hat eine Reihe von Originalausrüstungsherstellern (OEMs) und Lieferanten der Automobilindustrie am Rande des 87. Genfer Autosalons getroffen, der vor Kurzem stattgefunden hat - wobei die Gespräche ziemlich gemischte Eindrücke hinterließen. Auch wenn durchaus auf die großen Wachstumspotenziale im Bereich Elektro- und selbstfahrende Autos hingewiesen wurde, bestätigen die meisten traditionellen OEMs, welch gravierende Herausforderungen sich stellen - z. B. strengere Vorschriften und neue Konkurrenz durch finanzkräftigere Technologieunternehmen. In diesem Umfeld sind Unternehmen mit klaren Wettbewerbsvorteilen und einer Nischenmarktpositionierung zu bevorzugen.

Freitag 23/06/2017 - 10:42
Roberto Magnatantini Global Equities Expert
Shoaib Zafar Analyst
Die globale Automobilindustrie befindet sich in einem raschen Umbruch – sie erlebt einen Wandel, der ihre elementaren Grundlagen drastisch verändern wird. Wie bei jeder Revolution wird es Gewinner und Verlierer geben. Die wesentliche Frage lautet, welche Kriterien heranzuziehen sind, um Unternehmen ausfindig zu machen, die in diesem sich mit schnellen Schritten verändernden und enorm vielfältigen Universum am besten positioniert sind.

Die aktuelle Situation in der Automobilindustrie kommt einem Irrgarten gleich: Es bestehen Hürden und Herausforderungen, die offenkundig sind oder eher im Verborgenen liegen. Doch wenn die Unternehmen in der Lage sind, sich auf die neueren Umstände einzustellen und sich entsprechend zu positionieren, werden Wachstumschancen entstehen, die bei einer Überwindung der Schwierigkeiten helfen und die Grundlagen für Wertschöpfung bieten.

Wesentliche Herausforderungen für Automobilhersteller

Zunächst einmal ist das Regulierungsumfeld zweifellos negativ. Die jüngsten Abgasskandale, in die globale Automobilhersteller verwickelt sind, haben erhebliche politische Gegenreaktionen zur Folge gehabt. Hierbei stehen Dieselfahrzeuge besonders im Mittelpunkt. Seit der VW-Krise im Jahr 2015 haben die Aufsichtsbehörden rasch reagiert. Das US-amerikanische Corporate Average Fuel Economy-Programm (CAFE) gibt strenge Normen für CO2-Emissionen vor. Die Europäische Union will bis 2021 das ehrgeizige Ziel erreichen, dass alle Neuwagen nur noch maximal 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Bei seinem Drängen weg von Umwelt belastenden Dieselmotoren hin zu neuen elektrischen Fahrzeugen (NEVs) geht China gleichermaßen aggressiv vor. Infolgedessen nimmt die Verbreitung von Dieselfahrzeugen weltweit bereits ab. In Westeuropa wird der Anteil von Dieselmotoren von derzeit rund 50% bis zum Jahr 2025 wahrscheinlich auf etwa 20% zurückgehen.

Zur Erfüllung strengerer Vorschriften sind OEMs gezwungen, Dieselanlagen zu ersetzen und Produktionsbetriebe auf „sauberere“ Technologien umzurüsten. Als Konsequenz hieraus steuern die meisten OEMs weltweit in den kommenden Jahren auf höhere Investitionen zu. Technologische Veränderungen, insbesondere die Elektrizifizierung, werden so gut wie sicher zu erheblichen Wertminderungen führen - da viele Investitionen, die vor gar nicht so langer Zeit getätigt wurden, als man noch dachte, Verbrennungsmotoren würden für immer Bestand haben, die ursprünglichen Rentabilitätsannahmen niemals erfüllen werden. Mentalitäten und Kulturen werden sich ebenfalls rasch verändern müssen. In einer Industrie, die tendenziell in hohem Maße gewerkschaftlich organisiert ist und von Maschinenbauingenieuren geleitet wird, ist dies keine Selbstverständlichkeit.

Neue Marktteilnehmer wie Tesla setzen die etablierten Unternehmen heftig unter Druck. Der Erfolg von Tesla, aus dem Nichts eine anerkannte Marke aufzubauen, hat traditionelle Akteure regelrecht geschockt. Zusätzlich zu ihren Softwarekompetenzen und umfangreichen Finanzmitteln haben Technologieunternehmen außerdem den Vorteil, dass sie ganz von vorn beginnen, ohne sich mit vorgefassten Konstruktionen oder Altanlagen herumschlagen zu müssen.

Der Aufbau von Fahrzeugbeständen und der nachlassende Autoabsatz stellen für Automobilhersteller einen weiteren Grund zur Sorge dar. Während die Durchschnittspreise gestiegen sind, hauptsächlich aufgrund des Trends hinzu SUVs, wurde der Verkauf durch hohe Rabatte unterstützt. Dieses Modell führt nicht nur zu einer geringeren Rentabilität, sondern hat sich auch als nicht nachhaltig erwiesen - wie der jüngste Absatzrückgang weltweit bestätigt. Eine Eintrübung am Markt bringt die zusätzliche Bedrohung mit sich, das Leasinggeschäft der Unternehmen zu schwächen. Da sich der globale Zinszyklus wendet und Elektroautos Modellen mit Verbrennungsmotoren allmählich ernsthaft Konkurrenz machen, besteht die Gefahr, dass der Restwert einbricht. Angesichts dieser Herausforderungen stellen sich viele OEMs mit umfangreichem Leasing-Anteil ziemlich unvorbereitet dar.

Technologische Disruption in einer Landschaft im Wandel

Elektrofahrzeuge stellen ein integrales Element in der derzeitigen Disruption dar. Tesla hat der Welt bereits bewiesen, dass umweltfreundlichere Autos möglich sind, bei denen all die attraktiven Merkmale eines Premium-Fahrzeugs erhalten bleiben - auch das äußere Design. Auf der Nachfrageseite haben Förderprogramme zu einer höheren Akzeptanz auf Kernmärkten wie z. B. China geführt. Mit wachsenden Stückzahlen werden die Preise sinken und sich die Netze verbessern, was die Verbreitung weiter beschleunigt.

Während sich die Dynamik für einen größeren Durchbruch von Elektroautos verstärkt, liegt eine damit einhergehende Wachstumschance - allerdings eher für Automobilzulieferer - in einem größeren Elektronikanteil je Fahrzeug. Derzeit ist die Automobilelektronik vielleicht das Segment, das am schnellsten wächst. Zwischen 2016 und 2020 wird das Segment voraussichtlich eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von beachtlichen 15% erzielen. Dies betrifft alles Mögliche, angefangen vom Infotainment - z. B. HD in Anzeigen im Armaturenbrett, Beleuchtung, Notfall- und Fahrerassistenzsysteme - bis hin zum Internet der Dinge sowie zum Ersatz mechanischer Systeme durch elektronische Alternativen.

Ein weiteres Kernelement in der Geschichte sind selbstfahrende oder autonome Autos. Durch ihre hochgradige Vernetzung werden diese Autos nicht nur mit anderen Fahrzeugen (V2V), sondern auch mit externer Infrastruktur (V2X) kommunizieren können. Eine maßgebliche Voraussetzung hierfür ist die ununterbrochene Lieferung von Echtzeitdaten. Hieraus entstehen neue zugehörige Märkte wie z. B. Apps für Automobile, mit denen Kunden Fahrzeuge mit ihrem Zuhause und Büros vernetzen können. Selbstfahrende Autos werden eindeutig von einer verbesserten Konnektivität und Datenverfügbarkeit profitieren. In diesem Bereich sind globale Informationstechnologieunternehmen (ITU) von Natur aus überlegen. Keine Wunder also, dass Google bei einer Optimierung seines Google Car hilft und Apple 600 neue Mitarbeiter aus der Automobilindustrie eingestellt haben soll, um sein firmeninternes ‚Apple Car‘ zu entwickeln. Zudem arbeiten Samsung mit Audi sowie LG mit GM zusammen, während Microsoft und Toyota gemeinsam ein intelligentes Fahrzeug entwickeln.

Vom Automobilbesitz zum Car Sharing

Während die disruptive technologische Revolution in der Automobilindustrie im Gange ist, sind erhebliche Veränderungen im Verhalten des Verbrauchers zu erwarten. Viele autonome Autos von morgen werden wahrscheinlich reine Transferplattformen werden, die über gemeinsame Mobilitätsplattformen wie Uber geteilt werden. In Anbetracht des kurzen Lebenszyklus (häufige technologische Aufrüstung) werden Kunden Autos wahrscheinlich nicht mehr besitzen, sondern nur noch nutzen. Neben dem Kostenvorteil erhalten Kunden hierdurch eine größere Flexibilität, weil sie so ein Fahrzeug für einen bestimmten Zweck nutzen können. Shared Mobility ist bereits ein Trend, der in Großstädten mit begrenzten Parkplätzen und hohen City-Mautgebühren zu beobachten ist. In den USA ist beispielsweise der Anteil junger Leute (im Alter von 16 bis 24 Jahren), die einen Führerschein haben, von 76% im Jahr 2013 auf aktuell 71% gesunken.

Grosse Chancen, aber auch massive Risiken für Anleger

Aufgrund der sehr niedrigen Bewertungskennzahlen ist es verlockend, Aktien von OEMs zu erwerben. Doch die Automobilkonjunktur und andere Herausforderungen der Branche raten zur Vorsicht. Am anderen Ende des Spektrums besticht die Entwicklung neuer Marktteilnehmer, die Bewertungen sind aber häufig ungeheuerlich.

Eine Lösung hierfür lautet, sich an Unternehmen zu halten, die einen soliden Wettbewerbsvorteil bieten. Im OEM-Bereich könnte die Nischenmarktpositionierung sowie das einzigartige Verhältnis von Preis und Qualität bei Subaru eine Option darstellen. Noch spezifischer ist die Situation von Ferrari, da die Stärke der Marke und die kluge Strategie, das Angebot niedriger als die Nachfrage zu halten, zu einer Preissetzungsmacht führen, die sich kein anderer Automobilhersteller je erträumen kann. Besondere Situationen können auch durch interne Umstrukturierungen sowie Fusionen und Zukäufe wie z. B. bei Peugeot oder durch Ausweitungen des Angebots oder günstige geografische Präsenzen wie bei Geely entstehen.

Eine weitere Option bieten Automobilteilelieferanten. Unternehmen wie Plastic Omnium, Valeo und Nexteer Automotive verkaufen Produkte an ein breites Spektrum von OEMs. Dadurch minimiert sich das Risiko, den falschen OEM auszuwählen. Auch diese Unternehmen reiten auf der Welle von leichteren, saubereren und sichereren Fahrzeugen mit.

Letztendlich wäre die Erörterung unvollständig, ohne die schwierige Frage von Tesla anzuschneiden. Was soll man mit einem jungen Unternehmen machen, das hohe Verluste einfährt, nur ein paar hunderttausend Fahrzeuge verkauft und in den kommenden Jahren heftige Konkurrenz erleben wird, aber bereits eine größere Marktkapitalisierung als Ford oder GM aufweist? Die augenscheinlich absurden Bewertungskennzahlen vermitteln aber natürlich nicht das ganze Bild, denn Tesla muss nach seinem disruptiven Potenzial bewertet werden. Durch seinen Vorsprung wird das Unternehmen mindestens noch drei weitere Jahre der unumstrittene Führer bei Elektroautos bleiben, und das Tesla Model 3 hat das Potenzial zu einem Auto mit hohem Verkaufsvolumen. Durch die Qualität seines Produkts und seinen Silicon-Valley-Nimbus ist aus dem Nichts eine potente Marke entstanden. Zudem erweist es sich von Vorteil, dass bei Tesla keine Altlasten und Mentalitäten aus der Vergangenheit bestehen. Das Sahnehäubchen: Tesla bietet erhebliches Potenzial, wenn es dem Unternehmen gelingt, sich zu einer führenden Größe für Batterien zu entwickeln. Das Risiko ist hoch, aber hoch sind auch die potenziellen Renditen. Von daher ist die Anlage vernünftiger als viele denken.